Immer einen Koffer in W
Lesung mit Texten des in Wusterhausen geborenen Ulf Miehe im Alten Laden
Es war die zarte, einfühlsame Stimme von Esther Ofarim, die am Mittwoch im Alten Laden des Herbst`schen Hauses zu Beginn der szenischen Lesung „Die Zeit in W und anderswo“ zu hören war. Den meisten der mehr als 50 Zuhörer war die 1941 geborene israelische Sängerin und Schauspielerin bekannt, jedoch nicht, dass einige ihrer Songtexte von dem 1940 in Wusterhausen geborenen Schriftsteller und Regisseur Ulf Miehe stammen. Er wuchs in Westfalen auf, lebte von 1965 bis 1969 als freier Schriftsteller und Regisseur in Westberlin, dann in München, um Filme zu schreiben und zu drehen. Dort verstarb er 1989. Um ihn ging es in der dritten Veranstaltung des „Literatur-Cafes“, in der Marianne Golde, Bärbel Hartwig und Lukas Sabionski die Akteure waren. Sie lasen ausdrucksstark nunmehr zum zweiten Mal aus Büchern des Autors Miehe, in denen sich Spuren seiner Geburtsstadt Wusterhausen und Umgebung wiederfinden, autobiografische Züge tragen.
Marianne Golde hat sie akribisch recherchiert. Als Bibliotheksleiterin erhielt sie nach der Wende eine Bücherspende aus Hamburg von der Tochter des ehemaligen Wusterhausener Sägewerksbesitzers Meyer. Unter den 700 Büchern befanden sich zwei von Miehe. Und erst im Nachhinein wurde der Bibliothekarin klar, dass die Buchspenderin Miehe gekannt haben muss. Jahre später, als Marianne Golde eine Auswahl Bücher über Berlin für eine Leserin zusammenstellte, stieß sie bewusst auf den Autoren Ulf Miehe.
In seinen Büchern „Die Zeit in W und anderswo“, „Puma“, „Lilli Berlin“, „Ich hab noch einen Toten in Berlin“ hat er solche Orte wie den einstigen Verlauf der Dosse in Wusterhausen, Straßen, Häuser, Geschäfte aber auch den Neustädter Bahnhof, den Kahlbutz in Kampehl, die Insel im Kyritzer Untersee literarisch verarbeitet. Deren jetziges Schicksal ahnte er im Gedicht „Untersee“ fast unheilvoll voraus, empfanden einige der Zuhörer. Doch die Insel hat Miehe seinerzeit im Winter erlebt, wo sie immer einen verschlossenen und verlassenen Eindruck vermittelte. Sein Cousin Lutz Schindelhauer aus Werder, der mit seiner Frau an der Lesung teilnahm, erinnerte sich an einen Spaziergang mit Miehe 1977 in Berlin. So sei man von der Friedrichstraße bis zum Märchenbrunnen in Friedrichshain gewandert und Miehe hätte sich keinerlei Notizen gemacht. Später sei er, Schindelhauer, überrascht gewesen, dass sich dieser Spaziergang im Roman „Lilli Berlin“ wiederspiegelte.
Die Lesung, eingebettet in das Programm anlässlich des diesjährigen 50jährigen Bestehens der Bibliothek Wusterhausen, vermittelte viel Neues und hat auf jeden Fall Lust auf das Lesen der Miehe-Bücher gemacht.
Renate Zunke